Dieses Bild entstand nach
Kafkas Erzählung "In der
Strafkolonie". Ein Forschungsreisender war
vom Kommandanten einer Strafkolonie eingeladen
worden, der Exekution eines Soldaten beizuwohnen,
der wegen Ungehorsam und Beleidigung des
Vorgesetzten verurteilt worden war. Der
Offizier, der das Urteil vollstreckt, erklärt
dem Reisenden den Apparat, mit dem der
Verurteilte hingerichtet werden soll.
(...)
"Es ist ein
eigentümlicher Apparat", sagte der Offizier
zu dem Forschungsreisenden und überblickte mit
einem gewissermaßen bewundernden Blick den ihm
doch wohlbekannten Apparat.
(...)
"Er besteht, wie Sie
sehen, aus drei Teilen. Es haben sich im Laufe
der Zeit für jeden dieser Teile gewissermaßen
volkstümliche Bezeichnungen ausgebildet. Der
untere heißt das Bett, der obere heißt der
Zeichner, und hier der mittlere, schwebende Teil
heißt die Egge."
"Die Egge?" fragte
der Reisende.
(...)
"Ja, die Egge",
sagte der Offizier, "der Name paßt. Die
Nadeln sind eggenartig angeordnet, auch wird das
Ganze wie eine Egge geführt, wenn auch bloß auf
einem Platz und viel kunstgemäßer. Sie werden
es übrigens gleich verstehen. Hier auf das Bett
wird der Verurteilte gelegt. - Ich will nämlich
den Apparat zuerst beschreiben und dann erst die
Prozedur selbst ausführen lassen. Sie werden ihr
dann besser folgen können. Auch ist ein Zahnrad
im Zeichner zu stark abgeschliffen; es kreischt
sehr, wenn es im Gang ist; man kann sich dann
kaum verständigen; Ersatzteile sind hier leider
nur schwer zu beschaffen. - Also hier ist das
Bett, wie ich sagte. Es ist ganz und gar mit
einer Watteschicht bedeckt; den Zweck werden sie
noch erfahren. Auf diese Watte wird der
Verurteilte bäuchlings gelegt, natürlich nackt;
hier sind für die Hände, hier für die Füße,
hier für den Hals Riemen, um ihn
festzuschnallen. Hier am Kopfende des Bettes, wo
der Mann, wie ich gesagt habe, zuerst mit dem
Gesicht aufliegt, ist dieser kleine Filzstumpf,
der leicht so reguliert werden kann, daß er dem
Mann gerade in den Mund dringt. Er hat den Zweck,
am Schreien und am Zerbeißen der Zunge zu
hindern. Natürlich muß der Mann den Filz
aufnehmen, da ihm sonst durch den Halsriemen das
Genick gebrochen wird."
"Das ist Watte?"
fragte der Reisende und beugte sich vor.
"Ja gewiß", sagte
der Offizier lächelnd, "befühlen Sie es
selbst." Er faßte die Hande des Reisenden
und führte sie über das Bett hin.
"Es ist eine besonders
präparierte Watte, darum sieht sie so
unkenntlich aus; ich werde auf ihren Zweck noch
zu sprechen kommen."
Der Reisende war schon ein
wenig für den Apparat gewonnen; die Hand zum
Schutz gegen die Sonne über den Augen, sah er an
dem Apparat in die Höhe. Es war ein großer
Aufbau. Das Bett und der Zeichner hatten gleichen
Umfang und sahen wie zwei dunkle Truhen aus. Der
Zeichner war etwa zwei Meter über dem Bett
angebracht; beide waren in den Ecken durch vier
Messingstangen verbunden, die in der Sonne fast
Strahlen warfen. Zwischen den Truhen schwebte an
einem Stahlband die Egge.
(...)
"Nun liegt also der
Mann", sagte der Reisende, lehnte sich im
Sessel zurück und kreuzte die Beine.
"Ja", sagte der
Offizier, schob ein wenig die Mütze zurück und
fuhr sich mit der Hand über das heiße Gesicht,
"nun hören Sie! Sowohl das Bett, als auch
der Zeichner haben ihre eigene elektrische
Batterie; das Bett braucht sie für sich selbst,
der Zeichner für die Egge. Sobald der Mann
festgeschnallt ist, wird das Bett in Bewegung
gesetzt. Es zittert in winzigen, sehr schnellen
Zuckungen gleichzeitig seitlich, wie auch auf und
ab. Sie werden ähnliche Apparate in
Heilanstalten gesehen haben; nur sind bei unserem
Bett alle Bewegungen genau berechnet; sie müssen
nämlich peinlich auf die Bewegungen der Egge
abgestimmt sein. Dieser Egge aber ist die
eigentliche Ausführung des Urteils
überlassen."
"Wie lautet denn das
Urteil?" fragte der Reisende.
"Sie wissen auch das
nicht?" sagte der Offizier erstaunt und biß
sich auf die Lippen: (...) "Unser Urteil
klingt nicht streng. Dem Verurteilten wird das
Gebot, das er übertreten hat, mit der Egge auf
den Leib geschrieben. Diesem Verurteilten zum
Beispiel" - der Offizier zeigte auf den Mann
- "wird auf den Leib geschrieben werden:
Ehre deinen Vorgesetzten!"
(...)
Der Reisende hatte
Verschiedenes fragen wollen, fragt aber im
Anblick des Mannes nur: "Kennt er sein
Urteil?"
"Nein", sagte der
Offizier und wollte gleich in seinen Erklärungen
fortfahren, aber der Reisende unterbrach ihn:
"Er kennt sein eigenes
Urteil nicht?"
"Nein", sagte der
Offizier wieder, stockte dann einen Augenblick,
als verlange er vom Reisenden eine nähere
Begründung seiner Frage, und sagte dann:
"Es wäre nutzlos, es ihm
zu verkünden. Er erfährt es ja auf seinem
Leib."
Der Reisende wollte schon
verstummen, da fühlte er, wie der Verurteilte
seinen Blick auf ihn richtete; er schien zu
fragen, ob er den geschilderten Vorgang billigen
könne. Darum beugte sich der Reisende, der sich
bereits zurückgelehnt hatte, wieder vor und
fragte noch:
"Aber daß er überhaupt
verurteilt wurde, das weiß er doch?"
"Auch nicht", sagte
der Offizier und lächelte den Reisenden an, als
erwarte er nun von ihm noch einige sonderbare
Eröffnungen.
"Nein", sagte der
Reisende und strich sich über die Stirn hin,
"dann weiß also der Mann auch jetzt noch
nicht, wie seine Verteidigung aufgenommen
wurde?"
"Er hat keine Gelegenheit
gehabt, sich zu verteidigen", sagte der
Offizier und sah abseits, als rede er zu sich
selbst und wolle den Reisenden durch Erzählung
dieser ihm selbstverständlichen Dinge nicht
beschämen.
"Er muß doch Gelegenheit
gehabt haben, sich zu verteidigen", sagte
der Reisende und stand vom Sessel auf.
(...)
"Die Sache verhält sich
folgendermaßen. Ich bin hier in der Strafkolonie
zum Richter bestellt. Trotz meiner Jugend. Denn
ich stand auch dem früheren Kommandanten in
allen Strafsachen zur Seite und kenne den Apparat
am besten. Der Grundsatz, nach dem ich
entscheide, ist: Die Schuld ist immer zweifellos.
Andere Gerichte können diesen Grundsatz nicht
befolgen, denn sie sind vielköpfig und haben
auch noch höhere Gerichte über sich. Das ist
hier nicht der Fall (...) Sie wollten diesen Fall
erklärt haben, er ist so einfach wie alle. Ein
Hauptmann hat heute morgens die Anzeige
erstattet, daß dieser Mann, der ihm als Diener
zugeteilt ist und vor seiner Türe schläft, den
Dienst verschlafen hat. (...) Der Hauptmann
wollte in der gestrigen Nacht nachsehen, ob der
Diener sein Pflicht erfülle. Er öffnete Schlag
zwei Uhr die Tür und fand ihn zusammengekrümmt
schlafen. Er holte die Reitpeitsche und schlug
ihm über das Gesicht. Statt nun aufzustehen und
um Verzeihung zu bitten, faßte der Mann seinen
Herrn bein den Beinen, schüttelte ihn und rief:
'Wirf die Peitsche weg, oder ich fresse dich.'
Das ist der Sachverhalt. Der Hauptmann kam vor
einer Stunde zu mir, ich schrieb seine Angaben
auf und anschließend gleich das Urteil. Dann
ließ ich dem Mann die Ketten anlegen. Das alles
war sehr einfach. Hätte ich den Mann zuerst
vorgerufen und ausgefragt, so wäre nur
Verwirrung entstanden. Er hätte gelogen, hätte,
wenn es mir gelungen wäre, die Lügen zu
widerlegen, diese durch neue Lügen ersetzt und
so fort. Jetzt aber halte ich ihn und lasse ihn
nicht mehr. - Ist nun alles erklärt? Aber die
Zeit vergeht, die Exekution sollte schon
beginnen, und ich bin mit der Erklärung des
Apparates noch nicht fertig."
(...)
"Wie Sie sehen,
entspricht die Egge der Form des Menschen; hier
ist die Egge für den Oberkörper, hier sind die
Eggen für die Beine. Für den Kopf ist nur
dieser kleine Stichel bestimmt. Ist Ihnen das
klar?" Er beugte sich freundlich zu dem
Reisenden vor, bereit zu den umfassendsten
Erklärungen.
(...)
"Wenn der Mann auf dem
Bett liegt und dieses ins Zittern gebracht ist,
wird die Egge auf den Körper gesenkt. Sie stellt
sich von selbst so ein, daß sie nur knapp mit
den Spitzen den Körper berührt; ist die
Einstellung vollzogen, strafft sich sofort dieses
Stahlseil zu einer Stange. Und nun beginnt das
Spiel. Ein Nichteingeweihter merkt äußerlich
keinen Unterschied in den Strafen. Die Egge
scheint gleichförmig zu arbeiten. Zitternd
sticht sie ihre Spitzen in den Körper ein, der
überdies vom Bett aus zittert. Um es nun jedem
zu ermöglichen, die Ausführung des Urteils zu
überprüfen, wurde die Egge aus Glas gemacht. Es
hat einige technische Schwierigkeiten verursacht,
die Nadeln darin zu befestigen, es ist aber nach
vielen Versuchen gelungen. Wir haben eben keine
Mühe gescheut. Und nun kann jeder durch das Glas
sehen, wie sich die Inschrift im Körper
vollzieht. Wollen Sie nich näher kommen und sich
die Nadeln ansehen?"
Der Reisende erhob sich
langsam, ging hin und beugte sich über die Egge.
"Sie sehen", sagte
der Offizier, "zweierlei Nadeln in
vielfacher Anordnung. Jede lange hat eine kurze
neben sich. Die lange schreibt nämlich, und die
kurze spritzt Wasser aus, um das Blut abzuwaschen
und die Schrift immer klar zu erhalten. Das
Blutwasser wird dann hier in kleine Rinnen
geleitet und fließt endlich in diese Hauptrinne,
deren Abflußrohr in die Grube führt." Der
Offizier zeigte mit dem Finger genau den Weg, den
das Blutwasser nehmen mußte. (...)
"Nun weiß ich schon
alles", sagte der Reisende, als der Offizier
wieder zu ihm zurückkehrte.
"Bis auf das
Wichtigste", sagte dieser, ergriff den
Reisenden am Arm und zeigte in die Höhe:
"Dort im Zeichner ist das Räderwerk,
welches die Bewegung der Egge bestimmt, und
dieses Räderwerk wird nach der Zeichnung, auf
welche das Urteil lautet, angeordnet. Ich
verwende noch die Zeichnungen des früheren
Kommandanten. Hier sind sie," - er zog
einige Blätter aus der Ledermappe - "ich
kann sie Ihnen aber leider nicht in die Hand
geben, sie sind das Teuerste, was ich habe.
Setzen Sie sich, ich zeige sie Ihnen aus dieser
Entfernung, dann werden Sie alles gut sehen
können."
Er zeigte das erste Blatt. Der
Reisende hätte gerne etwas Anerkennendes gesagt,
aber er sah nur labyrinthartige, einander
vielfach kreuzende Linien, die so dicht das
Papier bedeckten, daß man nur mit Mühe die
weißen Zwischenräume erkannte.
"Lesen Sie", sagte
der Offizier.
"Ich kann nicht",
sagte der Reisende.
"Es ist doch
deutlich", sagte der Offizier.
"Es ist sehr
kunstvoll", sagte der Reisende ausweichend,
"aber ich kann es nicht entziffern."
"Ja", sagte der
Offizier, lachte und steckte die Mappe wieder
ein, "es ist keine Schönschrift für
Schulkinder. Man muß lange darin lesen. Auch sie
würden es schließlich gewiß erkennen. Es darf
natürlich keine einfache Schrift sein; sie soll
ja nicht sofort töten, sondern durchschnittlich
erst in einem Zeitraum von zwölf Stunden; für
die sechste Stunde ist der Wendepunkt berechnet.
Es müssen also viele, viele Zierarten die
eigentliche Schrift umgeben; die wirkliche
Schrift umzieht den Leib nur in einem schmalen
Gürtel; der übrige Körper ist für
Verzierungen bestimmt. Können Sie jetzt die
Arbeit der Egge und des ganzen Apparates
würdigen? - Sehen Sie doch!"
Er sprang auf die Leiter,
drehte ein Rad, rief hinunter: "Achtung,
treten Sie zur Seite", und alles kam in
Gang.
(...)
"Begreifen Sie den
Vorgang? Die Egge fängt zu schreiben an; ist sie
mit der ersten Anlage der Schrift auf dem Rücken
des Mannes fertig, rollt die Watteschicht und
wälzt den Körper langsam auf die Seite, um der
Egge neuen Raum zu bieten. Inzwischen legen sich
die wundbeschriebenen Stellen auf die Watte,
welche infolge der besonderen Präparierung
sofort die Blutung stillt und zu neuer Vertiefung
der Schrift vorbereitet. Hier die Zacken am Rande
der Egge reißen dann beim weiteren Umwälzen des
Körpers die Watte von den Wunden, schleudern sie
in die Grube, und die Egge hat wieder Arbeit. So
schreibt sie immer tiefer die zwölf Stunden
lang. Die ersten sechs Stunden lebt der
Verurteilte fast wie früher, er leidet nur
Schmerzen. Nach zwei Stunden wird der Filz
entfernt, denn der Mann hat keine Kraft zum
Schreien mehr. Hier in diesen elektrisch
geheizten Napf am Kopfende wird warmer Reisbrei
gelegt, aus dem der Mann, wenn er Lust hat,
nehmen kann, was er mit der Zunge erhascht.
Keiner versäumt die Gelegenheit. Ich weiß
keinen, und meine Erfahrung ist groß. Er um die
die sechste Stunde verliert er das Vergnügen am
Essen. Ich knie dann gewöhnlich hier nieder und
beobachte diese Erscheinung. Der Mann schluckt
den letzten Bissen selten, er dreht ihn nur im
Mund und speit ihn in die Grube. Ich muß mich
dann bücken, sonst fährt es mir ins Gesicht.
Wie still wird dann aber der Mann um die sechste
Stunde! Verstand geht dem Blödesten auf. Um die
Augen beginnt es. Von hier aus verbreitet es
sich. Ein Anblick, der einen verführen könnte,
sich mit unter die Egge zu legen. Es geschieht ja
nichts weiter, der Mann fängt bloß an, die
Schrift zu entziffern, er spitzt den Mund, als
horche er. Sie haben gesehen, es ist nicht
leicht, die Schrift mit den Augen zu entziffern;
unser Mann entziffert sie aber mit seinen Wunden.
Es ist allerdings viel Arbeit; er braucht sechs
Stunden zu ihrer Vollendung. Dann aber spießt
ihn die Egge vollständig auf und wirft ihn in
die Grube, wo er auf das Blutwasser und die Watte
niederklatscht. Dann ist das Gericht zu Ende, und
wir (...) scharren ihn ein." |